Ein Bus mit Haltestellen und Linien, aber ohne Räder

Ein Bus mit Haltestellen und Linien, aber ohne Räder

aus der Kreiszeitung Böblinger Bote vom 22. August 2024
von Rouven SpindlerKinder von hinten auf dem Schulweg.

Auf dem Weg ins Klassenzimmer: Viele Kinder beschreiten den Weg zur Grundschule gemeinsam zu Fuß und in Begleitung Erwachsener – bis die Eltern entscheiden, dass die Kinder bereit sind, alleine den Schulweg anzutreten. Symbolfoto: Peter Kneffel/dpa

Viele Erstklässler aus dem Kreis Böblingen laufen in Begleitung von Elternteilen zur Schule, statt dorthin gefahren zu werden. Sie bilden in ihren jeweiligen Gruppen den „Bus auf Beinen“. Der soll unter anderem die Anzahl an Elterntaxis reduzieren. Wie funktioniert die Initiative des Landratsamts?
Von Haltestelle zu Haltestelle kommen immer mehr Schüler dazu, Freunde tauschen sich miteinander aus und nach geraumer Zeit erreicht die ganze Gruppe gemeinsam ihren Lernort. Das hört sich nach einer Ankunft per Bus an – und es ist im Kreis Böblingen an vielen Grundschulen auch eine, wenn man so will. Nur eben keine auf Rädern und in Sitzreihen.
KREIS BÖBLINGEN
„Bus auf Beinen“ heißt eine Initiative des Landratsamts Böblingen, die es im Kreis seit 2022 gibt und die schon viele Jahre vorher unter ähnlichen Namen international bekannt wurde. Das Konzept:
Elternteile begleiten Erstklässler auf ihrem Weg in Richtung Klassenzimmer. Sie klappern dabei auf ihren Linien Haltestellen ab, an denen die Kinder warten und sich der sogenannten Laufgruppe anschließen. Das Projekt „steigert das Sicherheitsgefühl der Eltern und Kinder“, schreibt das Landratsamt Böblingen in einer Pressemitteilung. Andreas Müller, Leiter der Stabsstelle Nachhaltige Mobilität, zählt neben der Unterstützung für die Jüngsten noch weitere Ziele auf, die mit dem gehenden Busangestrebt werden: Er soll einen Beitrag zur Verkehrserziehung und -prävention sowie zum Klimaund Umweltschutz leisten, Grundschüler an den echten öffentlichen Nahverkehr heranführen, ihre Konzentration und Gesundheit durch die Bewegung unterstützen – und ein Mittel gegen sogenannte Elterntaxis sein. Denen eilt ihr schlechter Ruf voraus. „Das sind die gefährlichsten Situationen überhaupt“, sagt Sandra Köhler vom Polizeipräsidium Ludwigsburg. Die Oberkommissarin aus dem Referat Prävention weiß um die Zeitpunkte, an denen Mütter und Väter ihren Nachwuchs an der Kindertagesstätte oder der Schule abholen oder dorthin bringen. „Die zunehmende Anzahl sogenannter Elterntaxis, insbesondere zu Schulbeginn, beeinträchtigt die Verkehrssicherheit im Schulumfeld“, sagt auch Andreas Müller. Dasselbe gelte für neben Gehwegen geparkte Fahrzeuge. Dem will das Projekt entgegenwirken. „Die Teilnahme hat sich positiv entwickelt“, schildert der
Stabsstellenleiter. Das untermauern die Zahlen. Im ersten Jahr nahmen nach Angaben des Landratsamts sechs Schulen teil. 2023/24 waren es dann zehn Einrichtungen aus sieben Kommunen mit insgesamt 29 Laufgruppen und 142 Kindern. Ab September kommen drei Schulen dazu.
Unter den Teilnehmern waren auch mehrere aus den Aidlinger Ortsteilen Deufringen und Dachtel. Deren Schallenbergschule beteiligt sich seit dem Beginn im Herbst 2022 an dem Projekt. „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich finde das wirklich eine ganz tolle Sache“, ist Rektorin Gitta Sonntag überzeugt von den Effekten, beispielsweise in Hinblick auf die Bewegung. Das Landratsamt unterstützt ihre und die weiteren Einrichtungen sowie Eltern kostenfrei, etwa organisatorisch oder auch mit Warnwesten. Sollte es zu Unfällen kommen, greift laut dem Initiator die gesetzliche Unfallkasse Baden-Württemberg.
Die Schallenbergschule informierte im Juli an einem Elternabend über das Projekt, künftig organisieren sich die Mütter und Väter über eine Chatgruppe selbst. Ein Problem ist laut Gitta Sonntag oftmals die fehlende Zeit der Eltern für die Begleitung. Doch es läuft – wortwörtlich. Im ersten Jahr sei die Nachfrage mit rund 25 Schülern sehr groß gewesen, im zweiten mit rund fünf Teilnehmern dann kleiner, berichtet die Rektorin.
Der Ablauf in Deufringen und Dachtel ist hingegen klar: Die Schüler werden rund dreieinhalb Wochen, während der Kennenlernzeit, den „Bus auf Beinen“ bilden – „sodass das dann so langsam in die Eigenständigkeit übergeht“, erklärt Gitta Sonntag, deren Schule das Angebot der Polizei wahrnimmt, die Gruppe am Anfang zu begleiten. Nach der Kennenlernphase würden die Schüler der Schallenbergschule eigenständig Gruppen bilden, sagt die Leiterin.
Und ab wann sind Kinder bereit, alleine zu gehen? „Die Entscheidung kann den Eltern niemand abnehmen. Die richtige Mischung aus Selbstständigkeit und Sicherheit zu finden, ist nicht leicht“, weiß Andreas Müller vom Landratsamt. Das plant, dass langfristig alle Grundschulen im Kreis Böblingen an dem Projekt teilnehmen.

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